Haplogynae und Entelegynae
Entelegynae
Entelegynae ist eine Teilordnung der Echten Webspinnen. Sie zeichnen sich vor allem durch komplex gebaute Geschlechtsorgane (Pedipalpen und Epigyne) aus.
Anatomie
Während haplogyne Spinnen nur einfach gebaute Geschlechtsorgane besitzen, ist der Aufbau der Geschlechtorgane der entelegynen Spinnen sehr viel komplexer. Beim Weibchen findet sich über den inneren Geschlechtsorganen eine verhärtete (sklerotisierte) Platte der Cuticula, die Epigyne. Diese ist meist kompliziert gefaltet und hat eine oder zwei Öffnungen, die über spiralförmige Röhren mit den Spermatheken verbunden sind. Dorthin gelangt bei der Paarung das Sperma des Männchens und wird dort gespeichert. Das Weibchen ist so in der Lage, die Paarung und die Befruchtung der Eier zeitlich zu trennen. Das Weibchen befördert selbst das Sperma von den Spermatheken über Röhren in den weiter innen gelegenen Uterus externus. Erst dort findet die Befruchtung während der Eiablage statt. Das Weibchen kann auch nach nur einer Paarung mehrere Gelege in zeitlichem Abstand produzieren und befruchten.
Beim Männchen sind die primären Geschlechtsorgane zur Erzeugung des Sperma innenliegend. Das Sperma wird durch eine kleine Öffnung in der Epigastralfurche nach außen abgegeben. Die Begattung erfolgt jedoch nicht mit den primären Geschlechtsorganen. Stattdessen sind die Pedipalpen der Männchen zu komplexen sekundären Geschlechtsorganen umgewandelt. Das Männchen gibt das Sperma zunächst auf ein kleines Spermanetz ab. Von dort wird es wieder in den Samenspeicher des Pedipalpus (den Bulbus) aufgenommen und dort gespeichert. Bei der Paarung wird der Pedipalpus vom Männchen durch Erhöhen des Innendrucks entfaltet. Der Embolus, an dessen Spitze sich die Öffnung des Bulbus befindet, wird in die Epigynenöffnungen des Weibchens eingeführt und das Sperma in die Spermatheken abgegeben.
Sowohl beim Männchen als auch beim Weibchen sind die komplexen Strukturen der Epigyne bzw. der Pedipalpen beim nicht ausgewachsenen Tier noch nicht entwickelt. Die Geschlechtsöffnungen sind geschlossen und die sekundären Strukturen von Cuticula bedeckt. Erst nach der Reifehäutung liegen beide frei und sind funktionsfähig.
Artbestimmung
Da Epigyne und Pedipalpus artspezifisch gebaut sind und auch bei ansonsten sehr ähnlichen Arten deutliche Unterschiede aufweisen, werden sie auch zur Artbestimmung herangezogen. Durch mikroskopische Untersuchung von Epigyne oder Pedipalpus lässt sich die Art meist ohne Zuhilfenahme anderer, möglicherweise variabler, Merkmale sicher bestimmen. Nur bei wenigen Artengruppen ist beispielsweise eine Präparation der Vulva erforderlich, um die Art bestimmen zu können.
Bedeutung für die Artbildung
Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass durch die komplexe Anatomie jeweils nur der Pedipalpus und die Epigyne von Tieren der gleichen Art derart zusammenpassen, dass eine Begattung erfolgreich sein kann (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Es wurde vermutet, dass dadurch eine Kreuzung zweier verschiedener Arten (Hybridisierung) verhindert wird. Diese Annahme konnte jedoch im Experiment nicht bestätigt werden. Wurden im Experiment Weibchen während der Balz eines Männchens einer nahe verwandten Art kurzzeitig betäubt, war eine Paarung trotz der artspezifischen Unterschiede in den Genitalien möglich. Die Begattungen waren erfolgreich, und hybride Nachkommen entwickelten sich aus den Eiern. Offenbar ist das Paarungsverhalten ein stärkerer Faktor in der Erhaltung von Artgrenzen. Wenn das Männchen vor einem Weibchen der falschen Art balzt, dann wird es entweder ignoriert oder angegriffen. So wird ein Begattungsversuch schon im Vorfeld verhindert, und die unterschiedliche Anatomie kommt nicht zum Tragen.
Gegen die Schlüssel-Schloss-Theorie spricht weiterhin, dass auch bei haplogynen Spinnen und Mygalomorphae eine Hybridisierung praktisch nicht beobachtet wurde, und dass auch Arten, die sich (zum Beispiel auf Inseln) in völliger Isolation von nahen Verwandten entwickelt haben, komplexe artspezifische Genitalien besitzen.
Die teilweise bizarre Komplexität der artspezifischen entelegynen Genitalien wird dagegen in neueren Theorien als Konsequenz von sexueller Selektion gedeutet, wobei vor allem die männlichen Genitalien als "interne Balzorgane" dienen, mit denen die Männchen um die Vorliebe der Weibchen konkurrieren. Männchen mit favorisierten Genitalien haben demnach einen höheren Fortpflanzungserfolg, vermutlich als Folge von Bevorzugung durch die Weibchen nach der eigentlichen Paarung, z.B. durch bevorzugte Verwendung ihrer Spermien bei der später erfolgenden Befruchtung der Eier. Dieses Modell erklärt auch, warum die männlichen Pedipalpen in den meisten Fällen deutlichere artspezifische Unterschiede zeigen, als die weiblichen Epigynen. Gruppen, bei denen sich die sexuelle Selektion auf nicht-genitale Merkmale konzentriert (z.B. in der stark visuell orientierten Balz der Springspinnen), haben dagegen relativ einfache und wenig variable Genitalien auch bei den Männchen. In neueren Arbeiten werden demzufolge in solchen Gruppen Verhaltensaspekte stärker als früher zur Abgrenzung der Arten herangezogen, und nicht nur genital-anatomische Merkmale (siehe auch Pardosa lugubris).
Haplogynae
Bei weiblichen haplogynen Spinnen mündet die Samentasche direkt in die Vagina. Es fehlt die Epigyne der entelegynen Arten. Kurz gesagt: Entelegynae haben eine Epigyne, Haplogynae dagegen keine.
Auch die Pedipalpen der haplogynen Männchen sind einfach gebaut, mit einem Bulbus und einem mehr oder weniger geraden Embolus.
Bei der Determination müssen bei haplogynen Arten, zu denen in Mitteleuropa die Oonopiden, Dysderiden und Scytodidae gehören, andere Kriterien herangezogen werden. Dabei spielt die Bestachelung der Beine eine wichtige Rolle. (Wiehle 1953)
Mygalomorphae (Vogelspinnenartige) haben wie Haplogynae einfach gebaute Geschlechtsorgane, sind aber eine eigene Teilordnung neben den Araneomorphae (Echte Webspinnen).
Quellen
- Wiehle H (1953): Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile, 42. Teil Spinnentiere oder Arachnoidea (Araneae) IX: Orthognatha - Cribellatae - Haplogynae Entelegynae. VEB Gustav Fischer Verlag, 150 S.
- Foelix RF (1996): Biology of Spiders. Oxford Thieme. 2. Auflage. ISBN 0-19-509594-4, 330 S.